SPÖ Wien

„Wir brauchen einen Sozialstaat, der verlässlich absichert!“ 

Dr. Markus Marterbauer, Chefökonom der Arbeiterkammer Wien, über die Folgen der Teuerung, wer verliert und wer profitiert und wie der soziale Zusammenhalt in Zukunft gestärkt werden kann.

Wie kam es zu dieser explosionsartigen Teuerung, die wir seit Ende 2021 erleben?

Die Teuerung ist allen voran eine Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, die durch Spekulation auf den Finanz- und Rohstoffmärkten vorweggenommen und verstärkt wurde. Höhere Preise für Energie und Nahrungsmittel machen mehr als die Hälfte der Inflationsrate aus. Der Großteil der Inflation ist importiert. Zunehmend gibt es aber auch hausgemachte Inflation. Zum Beispiel steigt der Preis für Strom stärker, als es der hohe Gas- und Ölpreis rechtfertigen, die Mieten werden über Gebühr angepasst, Hotels erhöhen die Preise kräftig. 

Wer trägt die Hauptlast dieser aktuellen Teuerungswelle und wer profitiert davon? 

Hauptbetroffen sind die 1,3 Millionen Haushalte mit dem niedrigsten Einkommen, darunter besonders Arbeitslose, Hilfsarbeiter*innen sowie Ein-Eltern- und Mehrkindfamilien, Einpersonenunternehmer*innen. Sie müssen einen großen Teil ihrer Ausgaben für Wohnen, Haushaltsenergie und Nahrungsmittel aufwenden. Sie können ihre Konsumausgaben nicht vermeiden und kaum noch finanzieren. Hier droht eine massive Zunahme der Armut. Das oberste Einkommensdrittel ist weniger betroffen, da es die Konsumausgaben aufrechterhalten kann und weniger spart. In jeder Krise gibt es auch Gewinner*innen: Die Aktionär*innen von Energieversorgungsunternehmen und Mineralölkonzernen, jene, die Wohnungen vermieten, und all jene Unternehmen, die die allgemeine Teuerung nutzen, um sich ein „Körberlgeld“ zu machen.

Dem Finanzministerium entstehen durch die Teuerung Mehreinnahmen von bis zu 11 Milliarden Euro. Bezahlen die Arbeitnehmer*innen derzeit indirekt die Kosten der Corona-Krise?

Die Einnahmen an Mehrwert- und Einkommensteuer steigen inflationsbedingt. Doch oft wird vergessen, dass dem auch höhere Ausgaben für Vorleistungen (z.B. für öffentliche Bauvorhaben) und für die Inflationsanpassung der Sozialleistungen gegenüberstehen. Insgesamt ist der Staat kein Teuerungsprofiteur. Wie bereits in der Covid-Krise versuchen sich mächtige Lobbys in Form höherer Subventionen und geringerer Steuern am Staatshaushalt zu bedienen. Das muss verhindert werden. Denn die Finanzierbarkeit des Sozialstaates ist von elementarer Bedeutung für die arbeitende Bevölkerung

Was wäre das ideale Szenario, d.h. welche Maßnahmen müssten sofort ergriffen werden, um die Auswirkungen der Teuerung auf die Menschen so schnell wie möglich abzufedern?

Hilfe muss rasch und zielgerichtet erfolgen. Als erstes muss der Sozialstaat armutsfest gemacht werden, indem Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Mindestsicherung und Ausgleichszulagen auf das Armutsgefährdungsniveau angehoben werden. Wenn der politische Wille da ist, geht das sofort. Verhinderung von Armut braucht aber mehr: Investitionen in Kindergärten, Schulen, Gesundheit und Pflege, die vor allem auch die Bedürfnisse derer berücksichtigen, die es im Leben nicht so leicht haben. Der kollektivvertragliche Mindestlohn müsste sofort auf mindestens 1.700 Euro angehoben werden. Die Lohnrunden müssen vor allem darauf abzielen, die Kaufkraft zu sichern, bislang ist das gut gelungen.

Welche Zukunftsprognose über den weiteren Verlauf und dessen Auswirkungen würden Sie anhand der aktuellen Entwicklungen abgeben?

Die hohe Inflation wird sich nur langsam abschwächen, auch im Jahr 2023 könnte sie bei vier Prozent liegen. Die größte Sorge macht mir aber der drohende starke Anstieg der Armut und das in einer reichen Gesellschaft. Das verstärkt die Spaltung, befeuert Ängste und Hoffnungslosigkeit. Wir brauchen mehr demokratische Beteiligung aller Menschen, die hier wohnen, und einen Sozialstaat, der verlässlich absichert. Die Untergrenzen im Sozialstaat müssen mit Obergrenzen für das Vermögen kombiniert werden, wenn wir Demokratie und sozialen Zusammenhalt erhalten und verbessern wollen.

Wien gibt Kraft.

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